




Diesen möchten wir mit freundlicher Genehmigung des phil-creativ-Verlages den Besucherinnen und Besuchern unserer Homepage zur Verfügung stellen:
Willy Brandt wurde am 18. Dezember 1913 in Lübeck als Herbert Ernst Karl Frahm geboren. Seine Mutter war Martha Frahm, sein Vater John Möller, den Herbert nicht kennen lernte. Er wuchs bei seiner Mutter und seinem Stiefgroßvater Ludwig Frahm auf. 1927 heiratete seine Mutter Emil Kuhlmann. Herbert blieb jedoch bei seinem Stiefgroßvater und dessen zweiter Frau Dora. Sein Stiefgroßvater war Mitglied der SPD und kandidierte 1926 und 1929 für die Lübecker Bürgerschaft. Damals war die Hansestadt Lübeck wie die Hansestädte Hamburg und Bremen ein eigenes Land im Deutschen Reich. Herbert gehörte ab 1925 den Kinderfreunden, einer Jugendgruppe der Falken, an und war ab 1929 Mitglied in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). Nach dem Besuch der Realschule und des Johanneums in Lübeck legte er 1932 das Abitur ab. Bereits als Jugendlicher schrieb er kleine Aufsätze, als junger Mann von 1929 bis 1931 politische Artikel für den sozialdemokratischen Lübecker Volksboten, dessen Chefredakteur Julius Leber (1891 bis 1945) (SPD) war, damals Mitglied der Lübecker Bürgerschaft und des Reichstages, der den weiteren Werdegang von Herbert Frahm maßgeblich prägen sollte.
1930 trat Frahm der SPD bei, überwarf sich aber mit Leber, verließ die SPD und ging zur linksorientierten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SADP). Nach dem Verbot der SADP wollte diese im Untergrund gegen die neuen Machthaber kämpfen. 1933 emigrierte Frahm über Dänemark nach Norwegen und verdiente seinen Lebensunterhalt mit journalistischen Arbeiten für norwegische Zeitungen. In Oslo leitete er den Jugendverband der SADP, der im Exil zu überleben suchte. Unter dem Namen „Gunnar Gaasland“ hielt sich Frahm Ende 1936 für einige Monate wieder im Deutschen Reich auf. Im Spanischen Bürgerkrieg war er als Journalist für mehrere norwegische Zeitungen tätig. Vom nationalsozialistischen Regime ausgebürgert, versuchte er die norwegische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Während der Besetzung Norwegens im Zuge des „Unternehmens Weserübung“ geriet er 1940 in deutsche Gefangenschaft, konnte aber, ohne enttarnt zu werden, nach Schweden fliehen, wo er mit anderen Journalisten eine Nachrichtenagentur betrieb. 1940 erhielt er von der Botschaft der Exilregierung des Königreiches Norwegen die norwegische Staatsbürgerschaft. Bis 1945 unterstützte Frahm die Annäherung der Exil-SAPD an die SPD. Einer seiner politischen Weggefährten in dieser Zeit war Bruno Kreisky (1911 bis 1990) (SPÖ), den er 1940 in Stockholm kennen lernte und mit dem er in einer internationalen Gruppe demokratischer Sozialisten, der „Kleinen Internationalen“, an einem Entwurf für die politische Neuordnung Europas arbeitete.
Nach dem Zusammenbruch kehrte Frahm nach Deutschland zurück und berichtete für skandinavische Zeitungen über die Nürnberger Prozesse. Am 1. Juli 1948 gab ihm die Landesregierung von Schleswig-Holstein die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Nach der Scheidung von seiner ersten Frau Carlota Thorkildsen heiratete Frahm Rut Bergaust (1920 bis 2006), von der er sich 1980 wieder scheiden ließ.
Seinen Tarnnamen „Willy Brandt“, den er seit 1934 geführt hatte, benutzte er nach dem Krieg weiter. 1949 wurde dieser Name behördlich eingetragen. Von 1950 bis 1971 war er Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. 1955 wurde Brandt zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt und trat die Nachfolge von Otto Suhr (1894 bis 1957) (SPD) an. Vom 3. Oktober 1957 bis zum 30. November 1966 war er Regierender Bürgermeister.
Am 27. November 1958 stellte der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow (1894 bis 1971) das Ultimatum, die Kontrolle der Verbindungswege nach Berlin der DDR zu übergeben, wenn nicht binnen eines halben Jahres der westliche Teil der Viersektorenstadt durch ein alliiertes Abkommen zur „Freien Stadt Berlin“ erklärt würde. Am 13. August 1961 begann die Regierung der DDR unter sowjetischer Billigung mit dem Bau der Mauer und der verschärften Abriegelung ihres Machtbereiches gegenüber der Bundesrepublik Deutschland.
Vom 23. bis 26. Juni 1963 besuchte US-Präsident John F. Kennedy (1917 bis 1963) die Bundesrepublik Deutschland und hielt am 26. Juni, dem 15. Jahrestag der Luftbrücke, vor dem Schöneberger Rathaus seine Rede mit den unvergessenen Worten „Ich bin ein Berliner!“
Am 17. Dezember 1963 ermöglichte das erste Passierscheinabkommen zwischen dem Senat von Berlin und der DDR vom 19. Dezember 1963 bis 5. Januar 1964 erstmals seit dem Bau der Mauer wieder Verwandtenbesuche von Bürgern aus Berlin (West) in Berlin (Ost). Egon Bahr (geb. 1922) (SPD) sprach damals von einer Politik des „Wandels durch Annäherung“.
Als im Bundestagswahlkampf 1961 Brandt erstmals als Kanzlerkandidat der SPD antrat, gebrauchte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876 bis 1967) (CDU) die alles andere als kluge Formulierung „Brandt alias Frahm“ – und das einen Tag nach dem Beginn des Mauerbaus durch die DDR. Das Wahlergebnis für die SPD reichte aber nicht zu einer Regierungsbildung, zumal die FDP als Koalitionspartner abgewunken hatte.
Dennoch war die absolute Mehrheit von CDU/CSU gebrochen. 1962 wurde auf Vorschlag von Herbert Wehner (1906 bis 1990) Brandt stellvertretender Vorsitzender der SPD, 1964 folgte er Erich Ollenhauer (1901 bis 1963) als Parteivorsitzender. Bei der Bundestagwahl 1965 unterlag er Ludwig Erhard (1897 bis 1977). Nach dessen Rücktritt bildete Kurt Georg Kiesinger (1904 bis 1988) (CDU) am 1. Dezember 1966 eine Koalitionsregierung aus CDU/CSU und SPD. Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler wurde Brandt. Im 8. Bundeskabinett waren Politiker wie Gustav Heinemann (1899 bis 1976) (SPD) Justizminister – er wurde am 5. März 1969 von der Bundesversammlung zum dritten Bundespräsidenten gewählt –, Franz Josef Strauß (1915 bis 1988) (CSU) Finanzminister, Herbert Wehner Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen und Carlo Schmid (1896 bis 1979) (SPD) Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates.
Gegen die Empfehlung von Herbert Wehner und Helmut Schmidt (geb. 1918) (SPD) bildete Brandt nach der Bundestagswahl vom 28. September 1969 mit erheblichen Stimmengewinnen für die SPD eine Koalition aus SPD und FDP. Im 9. Bundeskabinett war Walter Scheel (geb. 1918) (FDP) Vizekanzler und Bundesminister des Auswärtigen – er wurde am 15. Mai 1974 zum 4. Bundespräsidenten gewählt –, Hans Dietrich Genscher (geb. 1927) (FDP) Bundesminister des Inneren und Helmut Schmidt Bundesminister der Verteidigung.
Die Ziele des Bundeskanzlers lassen sich in einigen Stichworten skizzieren: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, „Eine neue Ostpolitik“, die den Kalten Krieg durch die Politik der kleinen Schritte entschärfen wollte und „Wandel durch Annäherung“. Am 28. November 1969 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland den Atomwaffensperrvertrag. Am 19. März 1970 kam es zum historischen ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffen in Erfurt zwischen Ministerpräsident Willi Stoph (1914 bis 1999) und dem Bundeskanzler im Hotel Erfurter Hof. Am 21. Mai erwiderte Stoph den Besuch Brandts in Kassel. Die Deutsche Bundespost richtete ein Sonderpostamt ohne Sonderstempel ein. Im Zuge der neuen Ostpolitik wurden wichtige Verträge geschlossen: Am 12. August 1970 der deutsch-sowjetische Gewaltverzichtsvertrag in Moskau und am 7. Dezember der deutsch-polnische Vertrag in Warschau, wo Brandt durch seinen Kniefall am Denkmal für die Opfer des Ghetto-Aufstandes die Toten ehrte. Am 3. September 1971 wurde von den Alliierten das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin unterzeichnet, am 10. Dezember wurde Brandt mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Nach dem Wechsel von Abgeordneten zur Opposition versuchte die CDU/CSU-Fraktion unter Rainer Barzel (1924 bis 2006), Brandt durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu Fall zu bringen. Ihm fehlten aber zwei Stimmen, um Bundeskanzler zu werden. Das Ministerium für Staatssicherheit war in eine Bestechungsaffäre verwickelt, um Bundestagsabgeordnete zu beeinflussen. Nachdem Brandt am 22. September 1972 gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage stellte, aber keine Zustimmung erhielt, löste der Bundespräsident den Bundestag auf.
Nach den Bundestagswahlen am 19. November 1972 gewannen SPD und FDP eine deutliche Mehrheit. Wiederum bildete Brandt eine Koalitionsregierung aus SPD und FDP. Im 10. Bundeskabinett war Walter Scheel (FDP) erneut Vizekanzler und Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher (geb. 1927) (FDP) Bundesminister des Inneren, Helmut Schmidt (SPD) Bundesminister der Finanzen. Vom 7. bis 11. Juni 1973 besuchte Brandt als erster Bundeskanzler Israel, das seit 1965 diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland unterhielt. Neu sind Erkenntnisse, dass Brandt dem israelischen Wunsch, zwischen Israel und Ägypten zu vermitteln, nicht entsprochen hat, was vielleicht zu einer Verhinderung des Jom-Kippur-Krieges im Oktober 1973 hätte führen können.
Mit dem guten Abschneiden bei den Bundestagswahlen stand Brandt im Zenit seiner politischen Karriere – in Wirklichkeit war er schon zu diesem Zeitpunkt angeschlagen. Nochmals verbuchte seine Ostpolitik drei Erfolge: Am 21. Dezember 1972 wurde der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik unterzeichnet. Am 18. September 1973 wurden beide deutschen Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen. Schließlich schlossen die Bundesrepublik Deutschland und die ČSSR am 11. Dezember 1973 einen Vertrag über gegenseitige Beziehungen.
Als im Herbst 1973 die Erdöl fördernden Staaten des Nahen Ostens die Liefermengen einschränkten und die Preise erhöhten, was zu einem Konjunkturrückgang in den Industrienationen führte, und die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) überzogene Tariferhöhungen durchsetzte, schien der finanzielle Spielraum der Bundesregierung erschöpft zu sein. Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten der Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume (1927 bis 1995) einzugehen, veranlasste ihn diese, am 6. Mai 1974 als Bundeskanzler zurückzutreten.
Helmut Schmidt (SPD) wurde am 16. Mai zum neuen Bundeskanzler gewählt. Am Tage zuvor wählte die Bundesversammlung in der Beethovenhalle Walter Scheel zum Nachfolger von Gustav Heinemann als Bundespräsidenten. Nachfolger Scheels als Bundesminister des Auswärtigen wurde im neuen Bundeskabinett Hans-Dietrich Genscher (FDP).
Auch nach seinem Rücktritt blieb Brandt noch bis zum 23. März 1987 Vorsitzender der SPD. Von 1976 bis 1992 war er Präsident der Sozialistischen Internationale und von 1979 bis 1983 Mitglied des Europäischen Parlaments in Straßburg. Brandt war zudem Vorsitzender der „Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“, dem sog. „Nord-Süd-Dialog“. Im Deutschen Bundestag eröffnete er 1983, 1987 und 1990, in dem ersten Gesamtdeutschen Bundestag, als Alterspräsident die Legislaturperioden.
Nach schwerer Krankheit starb Brandt am 8. Oktober 1992 in Unkel am Rhein. Geehrt durch einen Staatsakt wurde er auf dem Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf in einem Ehrengrab neben Ernst Reuter (1889 bis 1953) (SPD) beigesetzt. Bereits am 10. November 1993 gab die Bundesrepublik Deutschland zu seinem 80. Geburtstag ein Sonderpostwertzeichen mit Ersttagsstempel in 10619 Berlin und 53111 Bonn 1 heraus. | Text und philatelistische Belege: © phil-creativ-Verlag
Autor: Herbert Schumacher