Kleine Geschichte der Lingener SPD

Die Zeit vor 1919:

Schon vor dem 1. Weltkrieg fand das Wirken der immer stärker ausdehnenden Sozialdemokratie auch in Lingen einzelne Anhänger. So weiß die Chronik zu berichten, dass im Jahre 1878 zum ersten Mal ein Sozialdemokrat, der Klempnermeister Carl Rehbock, in Erscheinung trat. Anlässlich der Reichstagswahl 1978 bekannte er sich offen zur Sozialdemokratie, wie es in einem Bericht des damaligen Bürgermeisters v. Beesten an die Landdrosterei in Osnabrück heißt.

8 Jahre später, am 02. Januar 1886, wurde der Arbeiter Carl Buschberg in einer Lingener Wirtschaft festgenommen, weil er sich, wie es in einem Bericht heißt, „der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht und außerdem sich für einen Sozialdemokrat ausgegebne hat“. Viel Erfolg bei den vor dem 1. Weltkrieg stattfindenden Reichstagswahl war den Sozialdemokraten in Lingen aber nicht beschieden.

 

1919 – 1933

Als Vorläufer einer regulären Parteiorganisation gründete sich am 02. Dezember 1918 ein Sozialdemokratischer Wählerverein, der rund 700 Mitglieder aufweisen konnte. Zum 1. Vorsitzenden wählte die Gründungsversammlung den Schleifer Richard Uhle. Er war , ebenso wie der stellvertretende Vorsitzende, der Vorschlosser Hans Driemann, Mitglied des damaligen Arbeiter- und Soldatenrates der Stadt Lingen.

Um die Wirkung der politischen Arbeit zu verbessern, wurde dann im Jahre 1919 der SPD-Wahlverein in eine Ortsgruppe umgewandelt; gleichzeitig teilte man das Stadtgebiet in vier sogenannte Agitationsgebiete auf.

Das Jahr 1919 ist also das Entstehungsjahr des eigentlichen Ortsvereins Lingen.

Zu der ersten Maifeier, die in Lingen stattfand, kamen auf Einladung der SPD  am 1. Mai 1919 rund 2.000 Personen zusammen.

Bei der Neuwahl des im November 1918 gegründeten Arbeiter- und Soldatenrates, erhielt am 16. März 1919 die SPD-Liste Uhle 46,4% der Stimmen und errang damit 5 Sitze. Richard Uhle wurde Vorsitzender dieses Rates. Allerdings wurde noch im Herbst desselben Jahres die Arbeit des Rates eingestellt, da ihm nicht mehr die benötigten Gelder vom zuständigen Lingener Kreistag bewilligt wurden.

Bei der 1919 stattfindenden Reichstagswahl konnte die SPD mit 32,6% der Stimmen zur zweitstärksten Lingener Partei werden.

Nachdem es in der SPD zur Abspaltung des linken Flügels gekommen war, gründete sich 1919 auch in Lingen eine Ortsgruppe der USPD. In der Folge verlor die SPD natürlich auch Wählerstimmen an diese Partei, ebenso wie an die 1921 gegründete Lingener KPD.

Bei der Bürgervorsteherwahl 1919 konnte die SPD Liste 28,2% der Stimmen erringen und stellte im Magistrat mit dem Schmied Heinrich Meyer einen Senator.

1924 aber sank der SPD Stimmenanteil auf 10,4%, während die nun kandidierende KPD mit 16,6% der Stimmen zwei Mandate mehr als die SPD erringen konnte.

Fünf Jahre später, bei der Bürgervorsteherwahl am 18. November 1929, steigerte sich die SPD dann wieder auf 17,9%.

Die letzte Bürgervorsteherwahl vor der NS-Schreckensherrschaft fand am 12. März 1933 statt. Die Lingener Sozialdemokraten verloren damals 7,6% und rutschten ab auf 10,3% der Stimmen.

Zum Vorsitzender der Lingener SPD wurde im Jahre 1929 der Gewerkschaftssekretär Heinrich Melcher gewählt.

Aus der Zeit vor 1933 sind aus sozialdemokratischer Sicht außerdem zwei Namen stellvertretend für viele andere hervorzuheben:

Wilhelm Engelke und Heinrich Lüßling. Wilhelm Engelke gehörte dem Rat der Stadt Lingen von  1924 bis 1933 an. Er war auch einer der ersten, die nach 1945 mit anpackten, um die tiefen Wunden des mörderischen Krieges zu heilen. Viele kennen Wilhelm Engelke noch als stellvertretenden Bürgermeister unserer Stadt. Heinrich Lüßling gehörte in der Zeit von 1924 -33 dem Bürgervorstehergremium an. Auch er setzte nach 1945 die politische Arbeit in der SPD fort und gehörte zu den Männern und Frauen der ersten Stunde.

 

1933 – 1945

Ein geschichtlicher Rückblick auf die Lingener SPD wäre unvollständig, würde er sich nur auf die örtlichen Begebenheiten konzentrieren und nicht auf die verhängnisvolle Entwicklung, die zum Sturz der Weimarer Republik führte, mit einbeziehen.

Die Zunahme der NSDAP bei der Reichstagswahl 1928 betrug fast 6,5 Millionen Stimmen. Sie zeigte die Panik der Wähler: viele Stammten aus der Schule der antidemokratischen Hetzorganisation, der rechten Wehrorganisation, der Deutschen Nationalen Volkspartei. Der NSDAP gelang, wie es Kurt Schumacher ausdrückte, „die restlose Mobilisierung der politischen Dummheit“. Eine jahrelange, ohne deutlichen Widerspruch erduldete Hetze gegen die deutsche Republik, ihre Träger, vor allem die Sozialisten und Gewerkschaftler, eine unerhörte Wirtschaftskrise mit Millionen von Arbeitslosen, führten dazu, dass die Weimarer Republik fast „legal“ in die Hände Hitlers übergeht. Hitler und die DNVP erhielten bei der letzten, schon sehr behinderten Wahl zum Reichstag am 5. März 1933 die Mehrheit. Der Reichstag gewährte Hitler ein Ermächtigungsgesetz, dass ihn praktisch frei schalten und walten ließ. Nur die SPD spricht und stimmt dagegen

Otto Welz, der Vorsitzende der SPD-Reichstagsfraktion, schloss – und daran sollten wir uns heute auch erinnern – inmitten der SA und SS seine Rede:

„ Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus.

Kein Ermächtigungsgesetz gibt ihnen die Macht, die Dinge, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokraten nicht vernichtet. Aus den neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie Kraft schöpfen. Wir grüßen unsere Freunde im Reich.

Ihre Standhaftigkeit und ihre Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine heilere Zukunft…“.

Mit Hohn und Spott antwortete Hitler: „Die Nacht über Deutschland ist angebrochen“.

Die Zentrumspartei löste sich, drei Tage vor der Paraphierung des Reichskonkordats mit dem Heiligen Stuhl in Rom, am 5. Juli 1933 auf. Ihre Anhänger standen zwar der Weltanschauung, nicht aber der Zusammenarbeit mit der NSDAP ablehnend gegenüber.

Ebenfalls 1933 setzt die Verfolgung von Gewerkschaftlern und Sozialdemokraten aber auch Kommunisten ein. In unserer Stadt werden Die Gewerkschaftsfunktionäre Baum, Keppler, Wolters und Melcher (gleichzeitig SPD-Vorsitzender) verhaftet. Jüdische Mitbürger werden ebenfalls verfolgt.

Die totale politische Gleichschaltung erfolgte in Lingen am 17. September 1934 aufgrund des neuen Gemeindeverfassungsgesetzes, zur Wahl stand an diesem Tage nur die Einheitsliste der NSDAP.

 

1945-1979

Nach 1945 kam der tiefste Impuls für den sofort einsetzenden Willen zum Neuaufbau aus den grauenhaften Leidern und Verfolgungen der Hitlerzeit. Die sie überlebten, waren nicht entmutigt, nicht von Rachegefühlen erfüllt. Ihr einziges Streben war, Deutschland eine Grundlage zu geben, die „eine Wiederholung der Schrecken der Vergangenheit ausschließt“, wie Kurt Schumacher es ausdrückte.

Der erste Stadtrat nach dem Kriege wurde am 12. Oktober 1945 von der britischen Besatzungsmacht eingesetzt. Sozialdemokraten, wie etwa Wilhelm Engelke, August Hundertmark, Heinrich Melcher und Heinrich Wemhöner wirkten in ihm mit.

Am 15.09.1946 fand dann die erste freie Kommunalwahl für den Rat der Stadt Lingen nach Kriegsende statt. Die Sozialdemokraten errangen 28,8% der Stimmen, die CDU 57,1%, das Zentrum 9,5% und die KPD 4,8%. Die damals gewählten Vertreter der SPD im Stadtrat seien hier stellvertretend für viele, die ihnen in dieser Funktion nachfolgten, genannt:

Heinrich Bergjohann

Wilhelm Engelke

Hermann Hantelmann

Heinrich Lüssling

Helene Müller

Heinrich Wemhöner

Mit kleinen Schwankungen wuchs der prozentuale Stimmanteil der SPD im alten Stadtgebiet bei den nun folgenden Ratswahlen und erreichte 1972 den nach dem Kriege höchsten Stand mit 41,9%.

Infolge der Eingemeindung früher selbstständig bestehender Gemeinden verringerte sich der Stimmenanteil 1976 auf 34%.

Auch die Parteiorganisation nahm nach Kriegsende ihre Arbeit wieder auf. 1947 wurde der vielen noch bekannte Heinrich Bredigkeit zum Ortsvorsitzenden gewählt und führte den Ortsverein bis 1953. Im Jahre 1969 übernahm der SPD-Ratsherr Werner Wolters den Parteivorsitz und blieb bis zu seinem viel zu frühen Tode am 20. März 1978 Ortsvereinsvorsitzender. Für die aufopferungsvolle Arbeit in der Partei und der Ratsfraktion sind wir ihm über seinen Tod hinaus zu Dank und Respekt verpflichtet.

Während dieser Zeit bemühte sich Werner Wolters in Zusammenarbeit mit dem Sozialminister Peitsch der damaligen SPD-Landesregierung um den Erweiterungsbau für die urologische Station des Bonifatius- Krankenhauses Lingen. Durch mehrere Gespräche mit der SPD-Landtagsfraktion in Hannoiver beschleunigte er das Verfahren, das Lingen zur großen selbstständigen Stadt machte. Weitere für ihn wichtige Arbeitsgebiete waren die Demokratisierung der Wirtschaft und die Durchsetzung gewerkschaftlicher Anliegen.

In den folgenden Jahren waren viele SPD-Ratsherren zugleich Ortsvereins-Vorstandsmitglieder. Das war in diesen Jahren eine Notwendigkeit. Partei und Fraktion waren gewissermaßen identisch, weil sich nur so angesichts der vielen Entscheidungen, die zu treffen waren, maximale Kompetenz bei minimalem Zeitverlust realisieren ließen. Auf diese Weise konnte den ohnehin bis an die Grenze des Zumutbaren belasteten Funktions- und Mandatsträgern ein bescheidenes Maß an Privatleben erhalten bleiben.

Die Geschichte der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten in der SPD

Schon die ersten Nachkriegsprotokolle des SPD-Ortsvereins Lingen berichten von Juso-Aktivitäten. Wenn es auch über viele Jahre hindurch keine schriftliche Belege über die Juso-Arbeit in Lingen gibt, so kann man doch sagen, dass die Jungsozialisten seit 1945 als Jugendorganisation der SPD am politischen Geschehen teilnehmen.

 

Auszug aus der Chronik „60 Jahre Lingener SPD – Überarbeitete Fassung des Festvortrages von Willi Wolf“

Die gesamte Festschrift findest du hier : 60 Jahre Ortsverein Lingen (Ems)